Der Dorn im Auge des Gesetzgebers
Das 17. und 18. Jahrhundert verlangt der Hamburger Stadtverwaltung das Äußerste ab. Hungersnöte und Epidemien überziehen das Land, man bemüht sich nach Kräften, die Versorgung der Städter zu sichern und jede mögliche Verteuerung von Lebensmitteln zu unterbinden.
Ein besonderer Dorn im Auge sind den Gesetzgebern dabei die so genannten „Vorhöker“, die Zwischenhändler mit ihren rüden Methoden: Knappe Waren kaufen sie restlos auf, zuweilen sogar schon direkt auf dem Hof des Bauern, um die Preise dann „monopolartig in die Höhe zu treiben“, wie es im Bericht der Marktvögte heißt.
Auf den Marktplätzen häufen sich hässliche Szenen: Brave Bürger werden von Vorhökern mit unflätigen Ausdrücken überschüttet und gewaltsam von den Ständen der Bauern weggedrängt. Minuten später sind die Waren mit Stumpf und Stiel abgeräumt. Was für die Kundschaft auf den Tischen übrig bleibt, sind nur noch Schalen und Reste. Wer etwas kaufen will, muss nun die saftigen Aufpreise der Vorhöker zahlen.
Was heute zu den Grundprinzipien der freien Marktwirtschaft zählt, grenzte damals nach Auffassung des „Hohen Rathes“ an Betrug. Man erließ also strenge „Mandate gegen die Vorhökerei, die diesen blühenden Geschäftszweig ein für allemal zum Verkümmern bringen sollten. Die Verbraucher erhielten damals das verbriefte Vorkaufsrecht auf den Marktplätzen.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hielt sich kaum noch ein Händler an die Verbote. Die Marktvögte wurden nach Strich und Faden bestochen, man zahlte die Strafe wie eine fällige Gebühr und kaufte schon frühmorgens die Marktstände der Bauern leer. 1815 schließlich wurden die von der Praxis überholten Mandate gegen die Vorhökerei aufgehoben. Die Zeiten, als die vornehmen Damen, gefolgt von der Köksch – der Köchin – und ein Lakai, „gravitätisch über den Marktplatz schritten, um persönlich mit der Fischfrau, der Grünhökerin und dem Schlachter zu verhandeln“, wie es in einem Bericht der Marktvögte nachzulesen ist, schienen nun endgültig der Vergangenheit anzugehören. Für den standesbewussten Hanseaten war es längst nicht mehr mit dem „guten Ton“ vereinbar, direkt auf dem Markt einzukaufen. Nicht einmal mehr das Personal wurde geschickt. Stattdessen drängte sich an den Marktständen der Bauern und Großhändler das Heer der Zwischenhändler, von denen viele jetzt mit ihren Geschäften sesshaft geworden waren. Überall in der Stadt gab es jetzt kleine Lebensmittelläden, in denen das vornehme Hamburg gern und reichlich einkaufte. Gemüsefrau und Milchmann brachten ins Haus, was darüber hinaus noch vonnöten war.
Das Hamburger Marktgeschehen ballte sich indessen auf dem Hopfenmarkt zusammen. Während im übrigen Stadtgebiet ein Wochenmarkt nach dem anderen starb, drohte der Hopfenmarkt mit seinen 900 Ständen aus allen Nähten zu platzen. Nur der Markt am Meßberg, auf den alle Händler und Bauern verwiesen wurden, die nicht mehr auf den überfüllten Hopfenmarkt passten, expandierte – bis auch hier die Grenzen der Aufnahmekapazität erreicht waren. Doch der Strom von Bauern und Händlern, die sich um einen Standplatz bewarben, riss noch immer nicht ab. Als das 20. Jahrhundert anbrach, drohte beiden Marktplätzen der Kollaps. Irgendetwas musste geschehen.
Der Abbruch des „Berliner Bahnhofes“ am Deichtor brachte schließlich die Lösung. Das riesige Gelände mit den guten Verkehrsanbindungen zu Land und zu Wasser bot für einen zentral gelegenen Großmarktplatz die besten Voraussetzungen. Man hoffte, hier alle 1.700 Standplatz-Bewerber von Hopfenmarkt bis Meßberg unterbringen zu können. Gesagt, getan: Am 1 Oktober 1911 wurde am Deichtor der größte Wochenmarkt, den die Stadt jemals gesehen hatte, eröffnet. Hamburgs Großmarkt war geboren.